Die Multifokallinse mit Nah-Turbo
Interview mit Dr. med Armin Junghardt, Baden.
Die Fragen stellte Ralf Höchst, Mediconsult AG.
08/2015
Die seit 18 Monaten auf dem Markt befindliche Oculentis MplusX, eine refraktive segmentierte Multifokallinse mit Addition 3.0, hat den Vorteil, dass sie mit 58% einen leicht überdimensionierten Nahanteil zur Verfügung stellt. Dieser macht sich in postoperativen Prüfungen bemerkbar, bei denen der Nahvisus bis auf 1.25 steigt. Die MplusX ist Teil der «Mplus-Family» mit Nahadditionen von 1.5 / 2.0 / 3.0 und 3.0X und wird gerne mit anderen Additionen gemixt, um eine optimale Patientenzufriedenheit zu erreichen. Zurzeit wird eine Studie durchgeführt, die 20 Oculentis MplusX Patienten über 12 Monate mit regelmässigen und ausgiebigen objektiven Messungen und subjektiven Befragungen der Patienten begleitet.
Herr Dr. Junghardt, können Sie die Studie kurz beschreiben und erklären, wie Sie die Patienten für die Multicenter-Studie ausgewählt haben?
Dr. med. A. Junghardt: Die Auswahl der Patienten ist von der Studie Oculentis Mplus X vorgegeben. Folgende Einschlusskriterien bestehen:
- Alter zwischen 45 und 80 Jahren mit Katarakt
- Zweizeitige beidseitige Kapselsackimplantation einer Mplus X LS-313MF30
- Zu erwartender postoperativer Astigmatismus < 0.75
- Pupillendurchmesser 3 – 6 mm
- Pupillendezentration (Center shift) < 1 mm
Eine solche Studie in der Praxis durchzuführen braucht Zeit, Geräte zur Messung und Personalressourcen. Nicht alle Patienten eignen sich für die Teilnahme an einer Studie und müssen aussergewöhnlich gut aufgeklärt werden. Weltweit wurden bereits über 320‘000 multifokale Linsen implantiert; insofern machen wir nichts Neues für unsere Patienten.
Prinzipiell werden zwei Typen von Nah-/Fernlinsen unterschieden: multifokale und segmentale (wie in unserer Studie). Multifokale Linsen haben wir wegen des Lichtverlusts von über 20% wieder aufgegeben. Dahingegen sind die segmentalen Linsen mit einem Lichtverlust von nur 7% angenehmer.
Überzeugend ist die klare Zone der segmentalen mit einer klaren Optik oben und unten. Interessanterweise muss nun dieser Nahteil nicht immer an beiden Augen unten sein, er kann auch an beiden Augen oben sein. Wichtig ist, dass er an beiden Augen symmetrisch ist.
Wie beurteilen Sie den Implantationsprozess in Bezug auf die Plattenhaptik?
Der Implantationsprozess ist einfach, bedarf jedoch wie immer einer gewissen Lernkurve. Die Linse muss in eine Kartusche eingelegt und gefaltet werden. Unsere OP-Schwester macht das besser als ich. Die Spitze des Medicel Viscoject 1.8 Injektors braucht mindestens 2.0 mm. Die Rhexis sollte nicht unter 5 mm sein, aber auch nicht zu gross, sodass die Linse gut im Sack liegt. Mit etwas Übung geht das bald problemlos.
Auch die torischen segmentalen Linsen sind horizontal zu implantieren. Der Zylinder ist in der Achslage auf der Oberfläche eingeschliffen.
Nach all den Implantationen mochte ich die horizontale Linie vermehrt im Sitzen markieren und die Linsen beidseits exakt horizontal darauf ausrichten. Die nicht markierte horizontale Linie ist im Liegen unsicher, da es zur bekannten Rotation des Auges im Liegen kommt.
Wie stabil sind die torischen Multifokalllinsen nachher in ihrer Position?
Die torischen segmentalen Linsen (ich nenne sie bewusst nicht ≪multifokal≫, da sie keine Ringe in der Optik haben) sind aussergewöhnlich stabil im Kapselsack. Diese Linsen lassen sich, sind sie erst einmal im Sack, nicht so einfach rotieren. Da der Zylinder auf der Oberflache der Plattenhaptik bereits in der richtigen Achslage eingeschliffen ist, kann diese Linse wie jede andere segmentale Linse ohne Torus einfach horizontal implantiert werden. Es reicht, die horizontale Linie auf dem Auge zu markieren und mit dem Mendez-Ring nachzukontrollieren.
Wie würden Sie die Adaption der Patienten an die neue Sehsituation beschreiben?
Aussergewöhnlich gut. Die Patienten sind erstaunt, wie gut sie sehen und berichten nur dann über optische Phänomene (Verzerrungen, Halos), wenn wir sie direkt darauf ansprechen. In der Regel sehen sie sehr gut in die Weite und in die Nähe. Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass theoretisch auf etwa 50 Patienten ein Linsenwechsel kommt. Dieses Risiko können wir mit guter präoperativer Patientenbesprechung minimieren.
Mit der segmentalen Linse kommen wir dem natürlichen Zustand der Linse um einiges naher als mit einer monofokalen Linse, auch wenn wir keine Brillenfreiheit versprechen können.
Was können Sie vorab über die Ergebnisse der Sechsmonatskontrollen berichten?
Die Ergebnisse sind hervorragend. Ganz wichtig ist die Zentrierung der Optik im Auge. Es scheint, dass diese ganz speziell bei segmentalen Linsen entscheidend ist.
Der Autorefraktometer misst bei segmentalen Linsen häufig im Nahteil, weshalb die Werte verfälscht, nämlich myopisiert sind. Der Patient hat dann einen Autorefraktometerwert von -1.5 und sieht trotzdem 100%. Unsere bisherigen maschinellen Messungen sind nicht mehr brauchbar. In der Studie wurde mir bewusst, dass es von Vorteil ist, die Zielrefraktion auf Hyperopie einzustellen für eine optimale Fernsicht. Die Nahsicht wurde dabei bisher nie tangiert.
Da beide Augen operiert werden, ist es natürlich gut, dass in der Zielrefraktion für Ferne und Nahe variiert werden kann. Bei den wenigen unzufriedenen Patienten vemute ich den häufigsten Grund bei der Pupillenzentrierung (Center shift) zur optischen Mitte der Plattenhaptik-Optik.
Haben sich Ihre Selektionskriterien im Laufe der Zeit geändert?
Ja, ich bin vorsichtiger geworden. Die ≪segmentalen≫ Patienten brauchen mehr Aufklarungsarbeit. Auch die Rucksprache mit den zuweisenden Augenarzten ist mir sehr wichtig. Zudem sollte praoperativ nebst den üblichen Untersuchungen unbedingt ein OCT der Makula gemacht werden. Bei Makulaveranderungen wurde ich keine segmentale Implantation empfehlen, um keine frustrierten Patienten aufgrund der ausbleibenden Visussteigerung zu riskieren.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Dr. med. Armin Junghardt
Facharzt FMH Augenheilkunde und Augenchirurgie